Tirana – Fushe Arrez

 

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Nach einer Nacht voller Wasserleitungspfeifen und Hundegejaule wache ich früh auf und muss feststellen, dass es in meiner Luxusherberge kein Frühstück gibt. Macht nix, ich werde sicher unterwegs ein Restaurant finden, oder mir eine Kleinigkeit in einem kleinen Supermarkt kaufen. So fahre ich los in Richtung Tirana. AA-20130813-2303
Ich will versuchen den kurzen Weg über die Berge zu nehmen, wohl wissend, dass es ein ziemlich langer Weg werden kann. Denn die Strassenverhältnisse sind nicht vorhersehbar, soviel hab ich schon kapiert. Meine Karte ist trotz Massstab 1:200’000 nicht wirklich brauchbar und in Tirana fällt mir auf, dass es kaum Wegweiser gibt. Ohne Navi wäre ich hier vollkommen verloren, aber auch mit Navi ist es nicht viel besser. Der Verkehr ist unsagbar chaotisch. Alle scheinen ohne Sinn und Verstand einfach nur vorwärts zu fahren und sobald sich irgendwo Lücke auftut, drängelt sich ein Fahrzeug oder ein Fahrrad hinein. Die vorgeschriebene Fahrtrichtung, Ampeln oder Verkehrsschilder spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Nebenbei laufen Fussgänger noch spontan und unentschlossen auf der Fahrbahn herum. Irgendwie scheinen hier alle – ähnlich wie in der uns bekannten Verkehrsberuhigten Zone – Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt zu sein. Doch dem ist nicht so, denn wieder einmal zeigt sich, dass die Priorität im fliessenden Verkehr mit dem Anschaffungspreis und  Hubraum des Fahrzeugs in Relation steht, wenn der Verkehr denn mal fliesst. DCIM100GOPRO
Mich wundert, wie gelassen ich dieses Chaos hinnehme, und dass ich mich darin nicht mal besonders unwohl fühle. Offenbar liegt es daran, dass ich seit nunmehr 2,5 Monaten fast täglich bis zu 11 Stunden auf dem Motorrad verbringe und deshalb automatisch wachsamer bin und bei kritischen oder unvorhersehbaren Situationen weniger schreckhaft reagiere.

Als ich mitten im Stau einen neben mir stehenden Polizisten, der ohne Helm auf einer Transalp unterwegs ist, meine Karte hinhalte und nach dem Weg frage, deutet ehr nur grob in eine Richtung und drängelt sich dann weiter durch’s Gewühl nach vorne. DCIM100GOPRO
Irgendwie lotst mich das Navi dann auf kleinere Strassen aus der Stadt heraus, doch an einer Stelle ist die Strasse, auf die ich abbiegen soll, nicht vorhanden. Ich versuche über einen Umweg die Richtung zu treffen, mit dem Ergebnis, dass ich mich irgendwann wieder mitten in Tirana an einer Stelle wiederfinde, von wo aus ich dann wieder in die gleiche Richtung fahren soll, wie schon zuvor. Das wird nic denke ich mir und programmiere ein anderes Ziel ins Navi. DCIM101GOPRO
Da ich immer noch nichts gegessen habe und auch mein Wasser alle ist, halte ich auf einer Nebenstrasse bei einem kleinen Kiosk und decke mich mit Wasser und Eistee ein. Zu Essen gibt es leider nichts und das Zuckerwasser ist nur in 1,5l Flaschen erhältlich. Mit dem Eistee und der gleichen Menge Wasser sollte ich zumindest genug Flüssigkeit und genügend Kalorien dabei haben, um unterwegs keine Probleme zu bekommen. Später bin ich froh darüber, denn bis etwa 13:00 soll der Eistee mein einziger Energielieferant bleiben.

Der Mann im Kiosk, der ein wenig Deutsch spricht, rät mir übrigens von der Tour durch die Berge ab, weil die Strassen so schlecht seien. Doch da ich in Rumänien auch schon mal gut damit gefahren bin, einen solchen Tip dankend zu ignorieren, lasse ich mich auf das Wagnis ein und fahre weiter.

Dr Asphalt hat schnell ein Ende und der Weg wird sofort grauenhaft. Es wird so unfassbar schlecht, dass ich mich wundere, wie das Baumaterial zu all den Neubauten oder Neubauruinen gekommen ist. Ein LKW und auch ein Kleinlaster kommt da nicht durch. Auch als ich wieder auf eine kurze Asphaltstrecke komme wundere ich mich, wie der Asphalt dort hingekommen ist. Aber das bleiben wohl Rätsel, die nur Albaner auflösen können.
Der Belag ist jetzt einigermassen fahrbar und ab und zu begegnen mir auch andere Fahrzeuge. Die meisten im Schritttempo, sodass ich keine Probleme beim Überholen habe. Immerhin einen Vorteil haben die schlechten Strassen also doch. An einem Steinbruch ist der Spass dann vorbei und es wird wieder wirklich schlecht. Es geht abwärts in ein Tal von dem ich annehme, dass es noch nicht mein Zwischenziel ist. Ich muss also noch über den nächsten, wesentlich höheren Bergzug. Na das kann heiter werden. DCIM101GOPRO
Nachdem ich mich an zwei relativ modernen Allrad-Armeelastern vorbeigearbeitet habe, steht mitten im Nichts wieder mal ein Restaurant. Auf die Idee, hier was zu essen, oder mal nen Kaffee zu trinken komme ich allerdings nicht. Zu konzentriert bin ich aufs Fahren. Auch Hunger habe ich erstaunlicherweise noch nicht, bin aber froh, dass ich so viel Eistee als Energielieferant dabei hab.

Starke Steigungen oder Gefällstrecken gab es bisher noch keine, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich bin gespannt. Mir fällt auf, dass es neben der Strasse irgendwie keine weiteren Zeichen von Menschen gibt. Zwar ist die Vegetation offenbar von Schaaf- oder Ziegenherden abgeweidet, Aber ich treffe keine Herden oder vereinzelt herumlaufenden Tiere.  Auch Häuser oder Zelte sind nicht zu sehen, und von Fahrzeugen will ich gar nicht reden. Es kommt mir so vor, als bewege ich mich immer weiter weg von der Zivilisation, sofern man das hier überhaupt so nennen kann. AA-20130813-2316
Da ich wegen meines Tankrucksacks und/oder meiner nach vorne verlegten Fussrasten nicht entspannt im Stehen fahren kann. Komm ich nur sehr langsam voran und steige nur in die Rasten, wenn es Druck brauch, weil es Schlammlöcher zu durchfahren gilt, der Schotter grober und weicher wird oder wenn es steil bergauf geht. Dabei muss ich mich dann aber so verkrampft am Lenker festhalten, das der Vorteil des Stehend Fahrens fast wieder drauf geht. Irgendwann lockere ich die Unteren Befestigungen des Rucksacks, sodass ich ihn im Stehen weiter in Richtung Lenker schieben kann, doch das hilft nur minimal.

18km Zeigt das Navi an, und ich kann es nicht fassen. Die Strecke von Tirana zum ersten Zwischenziel sollte doch 56km betragen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich schon so weit gekommen bin. Doch mit der Anzeige steigt die Laune. Eine gute halbe Stunde später, als es angeblich nur noch 7,6km  sind fängt das Teil an zu spinnen und will, dass ich wieder zurückfahre. Nachdem ich das Gerät neu gestartet und das Ziel neu programmiert habe, ist mir zum Heulen. Noch 32km und ich bin mit meinen Kräften am Ende. Stoisch fahre ich weiter durch einen engen Waldweg auf dem es immer wieder neue Herausforderungen in Form von Schlammlöchern gibt. Toll, man sieht nicht, wie tief die Löcher sind, man sieht nicht wie der Untergrund aussieht und ich weiss, dass Schlamm zu den schlechtesten Disziplinen meiner Reifen gehören. Ach ja, und ich bin noch nie in Schlamm gefahren. Beste Voraussetzungen also, doch theoretisch weiss ich ja, wie’s geht! Ich steige in die Rasten, ziehe beherzt am Gasgriff und verinnerliche mir mein Stossgebet für Systeme im instabilen, dynamischen Gleichgewicht: Geschwindigkeit bring Stabilität! Beim Beschleunigen wird darüber hinaus noch das Vorderrad entlastet, was die Unruhe auf grobem Untergrund vermindert. Wenn ich mich nicht so krampfhaft festhalten müsste, könnte die GS noch besser tanzen lassen, aber die Löcher sind immer nur so kurz, dass es auch ohne Tanzen geht.

Prima, ich bin so stolz, wie ich es seit meiner Erstbefahrung der Ubaye mit dem Kajak vor über zehn Jahren nicht mehr war. Auch damals war ich nach zahllosen Eskimorollen im, vom Schiefersand schwarz gefärbten Wasser am Ende meiner Kräfte. Doch damals konnte ich abbrechen, heute muss ich weiter. AA-20130813-2331

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Auch der Wald ist irgendwann einmal zu Ende und es geht wieder bergauf, zu hoffentlich letzten Pass auf dieser Strecke. Die Aussicht könnte schöner nicht sein, doch irgendwie kann ich mich nicht wirklich daran erfreuen. Stattdessen freue ich mich darüber, dass der Weg ein bisschen weniger schlecht wird und ich etwas schneller voran komme. Kurz hinter der Passhöhe mache ich dann meine erste wirkliche Pause. Zum ersten mal ziehe ich meine Jacke aus und suche in meiner Alukiste nach etwas Essbarem. Gut dass ich die Kekse nicht schön längst verschenkt hab. Mein Festmahl aus Vollkornbutterkeksen und Wasser schmeckt köstlich und endlich habe ich auch mal die Ruhe um die sensationelle Aussicht geniessen zu können. AA-20130813-2352
Sensationell sind auch die Aussichten auf die nächsten sechs Haarnadelkurven, die ich von hier oben habe. Nur gut, dass aus der Entfernung immer alles ein bisschen leichter aussieht. Auch das kenne ich schon vom Kajakfahren.

Um 14:26 muss ich laut schreien. Ich hab es geschafft. Ich fahre wieder auf Asphalt, fragt sich nur wie lange, doch auch das ist mir egal, denn bis nach Kus, meinem Zwischenziel sind es nur noch 7.2km. DCIM101GOPRO
Völlig erschöpft komme ich in einem Restaurant an der Hautpstrasse an. Das muss sowas wie eine Raststätte sein. Links der Strasse kann man was essen, während rechts der Strasse die Autos gewaschen werden. Schaut man sich die Strassenverhältnisse und das Aussehen der meisten Autos an, liegt der Schluss nahe, dass die Autos hier mindestens so oft gewaschen werden, wie der Fahrer eine Mahlzeit zu sich nimmt. Ich verweigere mich dieser Tradition und kümmere mich nicht um den Dreck an meinem Moped. Stattdessen bestelle ich bei einer jungen Dame, die ein paar Worte Englisch spricht einen Salat aus Tomaten, Gurken und Zwiebeln. Oliven und leckeres Knoblauchbrot kommen auch ohne, dass ich sie bestellt hätte mit und so kann ich wohl verdient die erste Mahlzeit des Tages geniessen, die durch einen hervorragenden Kaffee abgerundet wird, geniessen.

Ich muss weiter und freue mich über Asphalt, denn es gilt die Faustregel, dass alle Strassen mit einstelliger Nummer einigermassen fahrbar sein sollen. Pustekuchen. Nach einigen Kilometern komme ich an eine Baustelle und die Strasse verwandelt sich wieder in ein Schotterbett. Ich schaue auf den Kilometerzähler und beschliesse nach maximal 4km Abzubrechen. Für ein zweites längeres Offroad-Abenteuer fehlt mir die Kraft. Als ich kurz darauf auf Arbeiter stosse und Fragen stelle, rufen die ihren Ingeneur herbei, der gutes Englisch spricht. Er versichert mir, dass nach 4km wieder Asphalt kommt und behält recht. Auch wenn es bis dahin wieder ziemlich knifflige Passagen zu meistern gibt. DCIM101GOPRO
Es geht wieder über einen kleinen Pass hinunter zu einem Reisanbaugebiet, durch das die Strasse auf einem Damm führt und nach einer Ortschafft geht es dann auf nagelneuem perfekten Asphalt weiter. Zuerst bin ich irritiert, weil die Strasse mit einem Durchfahrt verboten Schild beginnt, aber das kann nicht sein. Die bauen doch keine Strasse und sperren die dann. Also fahre ich los und entdecke, dass es sich bei dem Schild um ein Überholverbot oder eine Geschwindigkeitsbegrenzung handeln musste. Die weissen Schilder mit dem roten Rand gab es scheinbar billiger, und jetzt werden ab und zu Zahlen oder schwarze und rote Autos hineingeklebt. Diese Aufkleber scheinen allerdings momentan Mangelware zu sein, deshalb bleiben viel Schilder übrig, die wie Durchfahrt verboten aussehen, es aber nicht sind. DCIM101GOPRO
Rums, und schon bin ich auf der Autobahn. Das ist das volle Kontrastprogamm. Eine nagelneue Autobahn durch eine wilde Landschaft. Und Kurven gibt es auch, die mit 100-120 km/h richtig Spass machen. Doch die Freude hält nicht lange an, denn nach 16km muss ich die Autobahn schon wieder verlassen. AA-20130813-2375

Direkt nach der Abfahrt geht es wieder auf Schotter weiter. Ich könnte heulen und halte an, um die Karte zu studieren. Da hält auhc schon ein vorbeikommender MB-Sprinter Bus an und der Fahrer fragt, ob ich ne Panne hab. Alles o.k. Sage ich und frage ihn nach dem zu erwartenden Strassenzustand. Nach 2 km kommt Asphalt und der bleibt bis zu meinem Ziel, immerhin noch ca. 60 km. Das ist ein Wort. Ich bedanke mich und nach 3km fängt tatsächlich wieder eine teilweise sehr schlechte Asphaltpiste an. Egal, die Landschaft wird immer schöner, und irgendwann hab ich auch diesen Pass bezwungen und komme endlich in Fushe-Arrez an. AA-20130813-2387

Die katholische Kirche ist gut auszumachen, aber wo genau die Missionsstation ist, bei der ich unterkommen werde, ist nicht ganz klar. Doch als ich nach Schwester Bernadette frage, springen alle Kinder auf und zeigen mir den Weg. Nach über 11 1/2 Stunden hab ich meine gut 200km Tagespensum geschafft und bin ich endlich am Ziel.

3 Kommentare zu „Tirana – Fushe Arrez

  1. Hallo Armin. Gut bist Du in Albaninen angekommen, wo ich zuvor auch war. Ich habe dann das “Eiserne Tor” auf der Serbischen Seite abgefahren. Kannst Du Dich noch erinnern, ich habe Deine Augen bei der kleinen Tankstelle in Serbien angesehen, und Dir gesagt: “3 Monate Zugluft im Helm sind nicht gut für die Augen!” Ich bin dann mit dem Roller nach 4000 km gut in Ungarn angekommen und schreibe immer noch mein Tagebuch, der dann auch hier: http://www.motowell.de/testmw/kundenberichte.html veröffentlicht wird. NB: Ich habe das letztemal vor 3 Jahren gearbeitet und bin Aussteiger knapp bei Kasse.

  2. Salü Armin. Ich bin es, der Dir die Augen bei der Tankstelle nach dem Eisernen Tor in Serbien geöffnet hat.
    Hoffentlich hat das mit dem Waisenhaus in Albanien geklappt. Viele Grüsse Michael Nagy aus Ungarn, der mit derm Roller 4000km unterwegs war…
    Ich bin als Weltenbummler auf der Titelseite, einfach 1-mal auf mein Bild klicken!

  3. Hallo, Armin!

    Sehr schön geschrieben! Das erinnert mich an meine Tour von Durres über Tirana und Prizren nach Prestina Ende der 1990er Jahre….
    Mit einem 40-Tonnen-Sattelzug als Hilfstransport für die Diakonie Iserlohn durch die albanischen Berge. Autobahn gab es damals noch nicht….
    Eine Herausforderung war das, die wir als Team schadlos überstanden haben – und die wir nie mehr so in Angriff nehmen würden 🙂 !

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